Wie können Schüler eine Textaufgabe in Mathematik lösen, wenn sie die Sprache nur schlecht verstehen? Wie sollen sie Textinterpretationen schreiben, wenn Satzverknüpfungen und Argumentationsaufbau nicht geläufig sind? Diese und andere Herausforderungen behandelte ein Workshop mit Prof. Dr. Una Dirks, die im Bereich Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) am Institut für Germanistische Sprachwissenschaft der Marburger Philipps-Universität tätig ist. Er war Teil der Tagung des Arbeitskreises Internationalität des Vereins „Die Internate Vereinigung“ (DIV), die dieses Jahr am Internat Steinmühle stattfand.
Rund ein Dutzend Vertreterinnen und Vertreter deutscher Internate tauschten sich bei der Veranstaltung aus, für die Steinmühlen-DaF-Koordinator Jan Müller verantwortlich zeichnete. Dabei wurde die Fülle von Herausforderungen deutlich, die Lehrerinnen und Lehrer gemeinsam mit ihren ausländischen Schülerinnen und Schülern zu meistern haben. Paralleles Lernen von Sprache und Materie muss einerseits ermöglicht, andererseits bewältigt werden. Die meisten ausländischen Schüler wollen den Erfolg.
Deutsch lernen, ohne die Muttersprache zu verdrängen – die deutsche Kultur näherbringen, nicht ohne die Kultur der ausländischen Schüler zu würdigen: so sieht der Alltag im „DaF“-Bereich aus. „Wir müssen cross-curricular denken“, berichteten Teilnehmer aus ihren Erfahrungen. Will heißen: Ein Diktat schreiben lassen, mit naturwissenschaftlichen Begriffen. Oder Aufsätze zum Thema Biologie. Das alles sind Möglichkeiten – zum Beispiel.
Aus wissenschaftlicher Sicht, so Una Dirks, sollte man nicht auf den Zufall setzen, wenn es ums Vermitteln der deutschen Sprache geht. „Jede Schule und jede Klasse braucht Experten, die möglichst genau die Kompetenzstände der Schülerinnen und Schüler erfassen. Das ist eine sehr komplexe Aufgabe, die nicht von den Lehrkräften alleine geleistet werden kann“. Dieser Schritt sei deshalb so wichtig, weil nur bei genauer Erfassung z.B. des Hör-, Sprech-, Lese- und Schreibvermögens auch passgenaue Fördermaßnahmen entwickelt werden können. Andernfalls müsse man sich nicht wundern, wenn es spätestens bei Tests und Klassenarbeiten ein böses Erwachen gebe.
Dabei sei es schon wichtig, welche Grundlagen ein ausländischer Schüler mitbringe. Das Unterrichten eines russischen Schülers stelle andere Anforderungen als das eines chinesischen: „Die Architektur des Textes ist dort schon ganz anders, die Sprachmittel ebenso.“ Kreativität sei grundsätzlich etwas Wertvolles, zuviel davon beim Sprachenlernen aber nicht zielführend. Die Professorin konstatierte: “Sprache braucht einen Sockel, auf dem aufgebaut wird. Erst kommt die Pflicht, dann die Kür!“
„Totale Freiheit ist nichts für jeden“
So wurden einige der reformierten Unterrichtsmuster wieder ein wenig geradegerückt: Frontalunterricht muss nicht nur „schlecht“ sein. Auch beim Schreibenlernen stellen neue Forschungsergebnisse die geglaubten Errungenschaften deutlich in Frage: „Im Gegensatz zu strukturierten Ansätzen mit einer Lernfibel haben freiere Methoden viel häufiger Fehlschreibung und deutlich mehr Legastheniker produziert.“
„Totale Freiheit ist nichts für jeden,“ fasste die Referentin zusammen und machte klar, dass alle von einer systematischen Anleitung profitierten. Bei offenen Bildungsangeboten sei dies leider nicht der Fall: „Diese können meist nur von den ohnehin Bildungsbevorteilten sinnvoll genutzt werden.“
Selbstreflexion ermöglichen
Zum Lernfortschritt und einem steten Progress gehöre in jedem Fall die Selbstreflexion. Was kann ich? Was muss ich noch lernen? – Die Antworten seien hilfreich, das eigene Wissen und Können zu erweitern, non-verbale Verhaltensweisen dabei ein wichtiges Element.
Den Wert von Pünktlichkeit in Deutschland kennenzulernen, danach zu leben und das eigene Sprachhandeln in einem Lern-Video zu überprüfen, was beim Sozialverhalten schon gelingt und was nicht – dies alles ermögliche den Fortschritt.
Dass es Dinge gibt, die einfach Fleiß und Eigeninitiative erfordern, daran hat sich auch heute nichts geändert: Satzübergänge, sprachliche Elemente zur Argumentation zum Beispiel. Die muss man auswendiglernen und vor allem immer wieder üben im Zusammenhang mit unterschiedlichen Themen. Ganz im Gegensatz zum früheren Vokabellernen: „Wird die thematische Einbindung nicht gleich mitgelernt, häufen wir lediglich immer mehr träges Wissen an, das dann schnell wieder vergessen wird“. Prof. Dirks verweist hier auf einen empirisch gesicherten Erfahrungswert, zu dessen Überwindung die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bereits Ideen für den nächsten Workshop entwickelten.