„Menschen machen Internet-Kriminellen das Leben einfach“
Über Datenkondom, Trillerpfeife und verlorene Kontrolle: Cem Karakaya, seit 2008 auf Cybercrime und Prävention spezialisiert, sprach vor Lehrkräften, Eltern und Ehemaligen der Steinmühle über Internetkriminalität und Medienkompetenz. Auch am Folgetag informierte der ehemalige Interpol-Mitarbeiter in der Steinmühle, diesmal die Jahrgänge 7 bis 10 – mit vielen Tipps zum Thema.
Bei Facebook ist er nicht. Auch nicht bei Instagram oder Tik Tok. Vergebens sucht man Cem Karakaya auch beim Business-Netzwerk LinkedIn. Statt WhatsApp-Nachrichten schreibt er gute alte SMS, wegen der AGB nach deutschem Recht. Und da erwischt er das Publikum schon zum ersten Mal: „Sie setzen bei allen AGB immer einfach den Haken ‚gelesen‘. Stimmts?“
Tja. Wer liest schon alles genau? Und wer macht sich Gedanken über seine Spuren im Internet? Cem Karakaya hält dem Publikum im Forum der Steinmühle den Spiegel vor: Geburtsdatum schön brav angeben, am besten noch Wohnort und Straße. Mailadresse sowieso, Telefonnummer auch. Fotos von sich, und auch von der Familie. Dem Identitätsdiebstahl ist der Weg bereitet.
Keine Kinderfotos ins Netz!
„Bitte, bitte, stellen Sie keine Fotos Ihrer Kinder ins Netz“ warnt der aus der Türkei stammende ausgebildete Polizist, ehemalige Interpol-Mitarbeiter, Experte für Cyber-Kriminalität und Gründer der 198 Mitarbeiter starken Firma blackstone 432. Warum hat wohl Mark Zuckerberg im Netz die Gesichter seiner Kinder mit Smileys verdeckt? Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, Recht am eigenen Bild und Urheberrechte gelten wie sonst auch. Die Frage ist nur: Wer hält sich dran?
Die meisten Angriffe beginnen mit Phishing-Mails
Karakaya beklagt die oft fehlende Handhabe der deutschen Polizei und erzählt Geschichten. Welche, die leider wahr sind. Wie schnell man Passwörter knacken kann („bitte 13stellig und nur mit Sonderzeichen dabei“), wie kinderleicht man über das Hotel-WLAN Zugriff auf fremde Endgeräte hat, wie leicht man gelegentlich Mails mitlesen kann bei der Mitfahrerin in der Bahn oder Nachrichten des Flugzeugpassagiers zwei Plätze weiter. Dass das Laden des Handys im fremden WLAN Daten freigeben kann, dass die Mail von der „Bank“ eben oft nicht von der Bank kommt oder es nicht der Paketdienst ist, dessen Mailanhang man bitte öffnen soll. Bitte – nicht! „80 Prozent aller Angriffe fangen mit Phishing-Mails an“.
Clip aus zwei Fotos und KI
Cem Karakaya setzt auf Aufklärung, damit Mechanismen verstanden werden, damit kein Schaden am Computer entsteht und kein Schaden für deren Besitzer. „Wussten Sie, dass zwei Porträtfotos im Netz ausreichen, um von Ihnen ein Video zu machen, auf dem Sie alle Sprachen dieser Welt sprechen, mit exakter Lippenbewegung?“ Der Referent macht es vor und zeigt es in seiner Präsentation: Cem Karakaya spricht plötzlich französisch. KI macht’s möglich.
„Die haben kein geiles Leben“
In seinem Vortrag streift der Referent zahlreiche Gebiete. Künstliche Intelligenz – auch ein Thema bei Influencern, die sich selber „verschönern“ und den Urlaubs-Hintergrund faken. Cem Karakaya: „Die haben in Wirklichkeit oft kein geiles Leben“. Es gebe Kleinigkeiten, an denen meist nur Insidern auffalle, dass es sich nicht um einen Südsee-Strand handele: Ein wiederholendes Wolkenbild, unpassende Vegetation und mehr.
„Menschen können wischen und klicken – that’s all“
Cem Karakaya verteufelt nicht die Technik. „Nicht der Rechner an sich ist schlecht, es ist der Mensch“. Neben Daten, die jemand selbst über sich im Netz eingegeben hat, werde auch dessen Verhalten im Internet ausgewertet. Big Data. „Die Suchmaschine ist die größte Quelle von Nutzeridentitäten. Auch die Art, wie man die Tastatur bedient, bildet ein Nutzerprofil“. Die Online-Beziehungen tun ihr Übriges. „Menschen machen Tätern das Leben einfach. Aus Fahrlässigkeit oder Ahnungslosigkeit“. Karakayas Erfahrung: „Die Menschen können wischen, die Menschen können klicken. That’s all“.
Der Referent öffnet die Augen über noch mehr. „Quishing“ zum Beispiel – der Versuch per Briefpost via QR-Code auf eine bestimmte Seite zu leiten. Wirkt seriös – ist es aber nicht. „Ein Grund zum Rückversichern beim Absender“ findet Cem Karakaya.
Warnsignal: Viele kleine rote Zahlen auf dem Handy-Desktop
Noch weitere Tipps und Anregungen streut der Referent beim Vortrag ein. Mal drüber nachdenken schadet nicht:
– Löschen Sie unbenötigte Dateien und Mails – Mailserveranlagen brauchen viel Strom, werden heiß und brauchen dann Kühlung. „Viele rote kleine Zahlen auf Ihrem Handy-Desktop heißt: Sie haben die Kontrolle verloren“.
– Kein Backup – kein Mitleid
– Hackerangriffe geschehen meist an Wochenenden oder an Feiertagen
– Est genau schauen, dann reagieren. Kommt Ihnen ein Mailabsender komisch vor: Länger mit dem Cursor draufhalten. Nach einer Weile erscheint in entsprechenden Fällen daneben der „wirkliche“ Absender
– Ein Datenblocker („Datenkondom“) verhindert Datentransport beim Aufladen
– Wählen Sie kein zu kurzes Passwort. Für das Knacken eines achtstelligen Passwortes braucht man 11 Stunden, für ein dreizehnstelliges immerhin 47 Jahre
– Nutzen Sie kein Passwort mehrmals
– Nehmen Sie bei so genannten Support-Anrufen von Microsoft, Amazon Paypal und Europol/Interpol die Trillerpfeife
– Achten Sie auf Schreibfehler in Mailadressen (O statt Null, Großes „i“ statt l etc.)
– Denken Sie an Datensparsamkeit: Leihfahrzeuge können ggf. das komplette Adressbuch eines Smartphones einverleiben
– Richten Sie zu Hause oder im Büro für Besucher ein Gäste-WLAN ein
– Es gelten immer diejenigen Gesetze des Ortes, an dem die Serveranlagen stehen
„Medienschulung ist Auftrag der Eltern“
Cem Karakaya, Spiegel-Bestsellerautor, entlässt sein Publikum mit Humor, aber nicht ohne den Auftrag, zu reflektieren: „Medienerziehung ist Auftrag der Schule. Medienschulung ist Auftrag der Eltern. Jeder Erwachsene ist das entsprechende Vorbild. Jeder entscheidet, wann er anschaltet, wann er ausschaltet“.
Vielleicht ging der eine oder andere Zuhörer mit einem mulmigen Gefühl nach Hause. Auch die Steinmühle sensibilisiert ihre Schülerinnen und Schüler bei vielen Gelegenheiten zum vorsichtigen Umgang mit dem Internet, aber hier kam es geballt. Beindruckend auch die vielen gelieferten Zahlen, wie zum Beispiel, dass drei Jahre Facebook-Mitgliedschaft 1200 Seiten an persönlicher Information ergeben.
– Noch nichts vor am Wochenende? Wir hätten da eine Idee: Unnötige Angaben im Internet löschen und mal die Sicherheitseinstellungen des eigenen Handys überprüfen.
Mehr Information zum Thema gibt es in Cem Karakayas beiden Büchern („Die Cyber-Profis“ und „Klicken Sie hier“) sowie auf der Website seines Unternehmens blackstone432.