„Wir wissen, dass wir die Erde verwüsten – und machen es trotzdem“: Bernd Holly über soziale Verantwortung
Jahrzehntelang machte Bernd Holly als Schulleiter der Steinmühle Ansagen: Bei Veranstaltungen, durch die Lautsprecheranlage oder auch mal persönlich, wenn er Hinweise beachtet wissen wollte. Seine Ansage Ende Januar an die Schülerschaft der Oberstufe war eine andere. Ein Appell, das eigene Verhalten zu überdenken, wenn alle auf diesem Planeten weiterleben wollen.
„Wir wissen, dass wir die Erde verwüsten. Und wir machen es trotzdem“. So begann der Vortrag des Pädagogen, der seit Sommer 2023 im Ruhestand ist. Das Schlimme daran: Er hat Recht. In dieses Bewusstsein aller Zuhörenden streute Bernd Holly zahlreiche Beispiele zur eigenen Wiedererkennung und zum Nachdenken. Wie leichtfertig holen wir Coffee to go und hinterlassen alleine in Deutschland eine Milliarde an Einwegbechern. Wir mähen den Rasen für den besten „englischen“ Stil, zerstören dabei aber die Wildblumenwiese. Und am liebsten hätten wir das Shopping-Wochenende in New York gewonnen, das ein öffentlich-rechtlicher hessischer Radiosender um die Weihnachtszeit verlost hat. Ist Nachdenken Glücksache? Ja, geht’s noch?
Energy-Drinks? Komplett lost!
Holly wird deutlich bei seinen Vorträgen, die er auch in Unternehmen vor Erwachsenen hält, an Schulen etwas anpasst. „Wer Energy Drinks trinkt, ist ein Opfer. Komplett lost“. Er sensibilisierte gegen geschältes, dann in Plastik verpacktes Obst, für Früchte der Saison und für das Überdenken des Fleischkonsums aus gesundheitlichen und ökologischen Gründen. „Die Welt braucht Menschen nicht, es geht um unsere Existenzgrundlagen. Wir bekommen es doch vor Augen geführt durch die Auswirkungen der Klimakatastrophen wie im Ahrtal, in Valencia oder jetzt Kalifornieren“ appellierte Holly, seit vier Jahren Vegetarier. Die populäre Nuss-Nougatcreme stellte er nicht nur wegen des Zuckergehalts in Frage, sondern auch wegen Verwendung von Palmöl, die Abholzung des Regenwaldes nach sich ziehend. Vieles wolle man auch nicht sehen, so der ehemalige Schulleiter und nannte dabei unter anderem die Weihnachtsgans-Industrie.
35 Prozent der Lebensmittel landen im Müll
Sich davon zu lösen, scheinbar perfekt sein zu müssen, sei nicht einfach, aber möglich: Ständig neue Klamotten, die man eh nicht trage, ständig ein neues Handy, zu viele gekaufte Lebensmittel, von denen 35 Prozent in den Müll wandern – erwiesenermaßen. „Shoppen aktiviert Glückshormone, ich weiß“, merkte Holly an, der zu Beginn seines Ruhestandes ehrenamtlich bei der Marburger Tafel einstieg, „einer Institution, die für gesellschaftliche Probleme steht“, konstatierte er. Dann wurde es auch schnell politisch: Mangelnde Deutschkenntnisse von Migranten als Zeichen mißglückter Integration, Gendern als Scheindebatte („ich mach das nicht“) und sodann wieder der Bogen zur ihn überzeugenden „Kaufnix-Liste“ und dem Statement, ob das Rasen mit dem frisierten Auto auf dem Berliner Ku’damm wirklich das einzige Mittel sei, um soziale Anerkennung zu bekommen.
„Der Gesellschaft etwas zurückgeben“
Aber – Bernd Holly ist Realist. Er weiß, dass nicht alle seiner Punkte mal eben umgesetzt werden und wie die Chancen dazu stehen. „Ihr seid privilegiert, ihr seid später an entscheidenden Stellen tätig, macht euch Gedanken und seid Vorbild“. Wenn nur ein Punkt des Aufgezählten umgesetzt würde, habe sich der Vortrag gelohnt.
Bernd Holly betrachtet sein bisheriges Leben im Rückspiegel. Aus einfachsten Verhältnissen stammend, zum Schulleiter der beliebten und begehrten Steinmühle avanciert, wolle er der Gesellschaft etwas zurückgeben. Aus Verantwortung, „die (zur Schülerschaft gewandt) auch ihr mal tragen werdet“.
Der Vortrag war ein Projekt der in der Steinmühle verankerten Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)