Vielfältige pädagogische Begleitung in Schule und Internat
Die Schule der Steinmühle und das Internat sind eigenständige Institutionen mit jeweils einem eigenen pädagogischen Team. Diese Struktur der Dualität ist bewusst gewählt und bringt zahlreiche Vorteile:
- Die Internatskinder haben in Schule und Internat voneinander unabhängige Ansprech- und Vertrauenspersonen. So können sie bei Sorgen und Fragen aus dem einen Bereich immer auch „unabhängige“ Vertrauenspersonen aus dem anderen Bereich zu Rate ziehen.
- Die Lehrerkräfte der Schule und die Pädagoginnen und Pädagogen des Internats erleben die Kinder und Jugendlichen jeweils in unterschiedlichen Kontexten und aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Sie tauschen sich kontinuierlich zu ihren Eindrücken und Erfahrungen aus, können sich gegenseitig ergänzen, befruchten und unterstützen. So wird Sorge getragen, dass die Schülerinnen und Schüler ganzheitlich und mit all ihren Facetten und Besonderheiten wahrgenommen, gefördert und gefordert werden.
- Das pädagogische Team des Internats ist nicht in den Schuldienst eingebunden. So kann es sich zeitlich und inhaltlich ganz auf die Lebensbegleitung konzentrieren und die Kinder und Jugendlichen als Menschen, losgelöst von ihren schulischen Leistungen, betrachten. Die Pädagoginnen und Pädagogen wohnen mit im Internat, sind also konstant und verlässlich da, es gibt keinen Schichtdienst.
Eine ‚Steinmühlen‘-Mutter berichtet:
„Im Internat hat meine Tochter eine zweite Chance bekommen“
Im Alter von 11 Jahren zieht Shira mit ihrer Familie von Israel nach Bamberg in Nordbayern. Sie kann gut deutsch sprechen. Mit dem Lesen und Schreiben hapert es. Hinzu kommen eine diagnostizierte Legasthenie und Aufmerksamkeitsstörung (ADS). Eine Herausforderung für die Realschule in ihrem Wohnort. Und eine besondere Herausforderung für das junge Mädchen selbst, das schon bald das Gefühl hat, dass „gegen sie, statt mit ihr“ gearbeitet wird. „In einem Elterngespräch hat man mir tatsächlich empfohlen, meine Tochter auf eine hebräische Schule zu schicken“, erinnert sich Shiras Mutter Fiona Atay-Sandyk. In der Hoffnung, eine individuellere Betreuung mit spezieller Förderung könne das Problem lösen, entscheidet sich Shiras Mutter für eine Montessori-Schule in der Nähe. Aber Shira selbst will einen größeren Schritt wagen: Ein Internat soll es sein, auf das sie ihr Pferd mitnehmen könnte.
„Was habe ich falsch gemacht?“
Obwohl Fiona Atay-Sandyk selbst im Alter von 14 Jahren und ohne fundierte Englischkenntnisse auf ein Internat in England und später in die Schweiz gegangen ist, sitzt der Schreck tief, als ihre „Kleine“ mit zwölf ihr Zuhause verlassen will: „Was fehlt Shira? Was habe ich falsch gemacht? Was kann ein Internat ihr geben, das sie zu Hause nicht bekommt?“ Diese Fragen quälen die Mutter, die sich Sorgen macht, das Gefühl hat, versagt zu haben.
Internateberatung und Recherchen im Netz
Gleichzeitig nimmt sie den Wunsch der Tochter ernst, geht mit ihr zu einer Internateberatung, recherchiert im Internet und sucht mit Shira drei Internate in Deutschland aus, die „einen sympathischen Eindruck“ und eine Pferde-Unterbringung möglich machen. Die Steinmühle in Marburg ist das erste Internat, das Mutter und Tochter besichtigen. Ihm angegliedert ist eine staatlich anerkannte Schule (Gymnasium) in privater Trägerschaft: „Der großzügige, naturnahe Campus, die überschaubare Schülerzahl, das pädagogische Konzept: Wir waren beide auf Anhieb begeistert und hatten das Gefühl, hier läuft es anders, herrscht eine entspannte und gleichzeitig anregende Atmosphäre“.
Doppelter Boden gibt gutes Gefühl
Nach dem Besuch zweier weiterer Internate ist sich Shira sicher, es soll die Steinmühle sein. Die Mutter lässt ihr zwei Wochen Bedenkzeit, „in denen sie jeden Tag ihre Entscheidung bekräftigte“ und hält die Anmeldung bei der Montessori-Schule zunächst aufrecht: „Falls Shira gesehen hätte, es sind doch ,keine Reiterferien‘ oder sich überfordert und nicht wohl gefühlt fühlt hätte, hätte sie jederzeit wieder nach Hause kommen können“. Aber Shira will bleiben. Das Miteinander in einer wohlwollenden Gemeinschaft, der Unterricht mit außergewöhnlichen AG-Angeboten und das vielseitige Freizeitprogramm des Internats empfindet sie als großes Plus.
Mit Mut, Vertrauen und klaren Vorgaben zum Schulabschluss
Doch es gibt auch Herausforderungen, Regelverstöße und Diskussionen: „Es war nicht immer leicht mit und für Shira. Wir hatten mehrere Gespräche mit Internat und Schule, wenn etwa ihre Leistungen nicht den Erwartungen entsprachen. Und es kam der Vorschlag, sie auf eine externe Realschule zu schicken“, erinnert sich Fiona Atay-Sandyk. „Aber Shira war dagegen. Sie wusste schon immer, was sie will. Und dass sie es schaffen kann, wenn sie sich auf ein Ziel fokussiert“, sagt die Mutter. Als sie sich für den Verbleib auf dem Gymnasium entscheidet, zieht das Pädagog/innen- und Lehrer/innen-Team mit, glaubt an sie. „Wir konnten sehr deutlich spüren: Sie nehmen ihren Bildungsauftrag sowie die Verantwortung Shira gegenüber ernst.“ Internat und Schule unterstützen die junge Frau dabei, es weiterhin am Gymnasium zu probieren – mit der klaren Vorgabe und unter der Voraussetzung, dass sich ihre Leistungen verbessern müssen. Das funktioniert: Nach der 11. Klasse hat Shira die vorgegebene Punktzahl des schulischen Teils des allgemeinen Fachabiturs erlangt. Und beschließt, nun in die Berufswelt einsteigen zu wollen.
Internatsleiterin: Der eigene Weg ist der richtige
Ein zweiwöchiges Pflichtpraktikum bei einem führenden Hersteller für Sportbekleidung weckt in Shira den Wunsch, mehr praktische Erfahrung zu sammeln und die Schule zu beenden – wenn auch schweren Herzens. Shiras Mutter ist hin- und hergerissen, ob Shira nicht doch lieber das reguläre Abitur machen soll. Sie fragt Internatsleiterin Anke Muszynski, welches wohl der richtige Weg für Shira sei. Diese ermuntert sie, Shira die Entscheidung zu überlassen: „Es gibt keinen falschen oder richtigen Weg. Es gibt zwei Wege und den, den Shira wählt, das ist der richtige für sie.“ Und so ist es dann auch. Shira verlässt das Internat und absolviert ein einjähriges Praktikum bei einem Unternehmen in Bamberg, das Berufsbekleidung für Unternehmen und Hotelketten produziert. Sie hat ihre Entscheidung für das Fachabitur nie bereut.
Gemeinschaft und klare Regeln gaben Halt
Was hat der Schülerin im Internat bei ihrer Weiterentwicklung geholfen, ihr Halt gegeben? Und was hat sie gelernt, das sie möglicherweise sonst nicht gelernt hätte? „Die Gemeinschaft und das Verantwortungsgefühl füreinander haben Shira im Internat besonders geprägt. Teamfähigkeit und Sozialkompetenz hat sie dort wirklich gelernt“, blickt Fiona Atay-Sandyk zurück. Neben der Freiheit und dem lockeren Umgang hätten der Tochter gleichzeitig auch die verlässlichen Regeln und die Tagesstruktur einen festen Rahmen und Halt gegeben. Von den Internatswochenenden habe Shira besonders geschwärmt: „Manchmal haben die Wohnhäuser ‚nur‘ zusammen gekocht, sind ins Kino gegangen oder haben einen Einkaufsbummel gemacht. Manchmal sind sie aber auch Ski gefahren oder haben einen Freizeitpark besucht. Das hätte ich ihr zu Hause gar nicht bieten können.“
Eine zweite Chance und ein Weg in die Zukunft
Auch wenn sie anfangs Skepsis fühlte, weil Shira beim Eintritt ins Internat erst zwölf Jahre alt war, erlebt die „Steinmühlenmutter“ diese Entscheidung rückblickend als „goldrichtig“. „Unser Verhältnis hat darunter nicht gelitten. Die Steinmühle hat meinem Kind eine zweite Chance gegeben. Trotz ihrer Lernschwierigkeiten, der sprachlichen Defiziten und ihrer Aufmerksamkeitsstörung haben Internat und Schule sich für die Aufnahme von Shira ausgesprochen. Und ihr dann die besondere Betreuung und Förderung gegeben, die sie gebraucht hat, um ihren schulischen Weg gehen zu können. Dafür bin ich dankbar“. Darüber hinaus sei die Tochter in ihrer Zielstrebigkeit und ihrem Bedürfnis nach Selbstbestimmtheit bestärkt worden, sodass sie auch weiterhin mutig und offenherzig ihren Weg in die Zukunft gehen werde, ist Fiona Atay-Sandyk überzeugt. Dieser führt Shira demnächst für sechs Monate an eine Sprachenschule nach San Diego.